Die Kanzlerin, die sich um Amt und Würden schweigt

Die Debatte über die Flüchtlinge hat Deutschland fest im Griff. Migranten sind das beherrschende Thema in Talkshows und Nachrichtensendungen, in Zeitungen und Foren. Für die Wähler – so sagen die Demoskopen – ist die Flüchtlingspolitik mit Abstand zum wichtigsten Thema geworden.

 

Dass Merkel starr auf ihrem Kurs beharrt, spiegelt sich daher auch im Wahlverhalten wider. Die Zahlen sprechen eine klare Sprache, denn die Umfragewerte von CDU & CSU fallen. Jetzt ist gar die unappetitliche AfD bei den jüngsten Umfragen sogar an Liberalen, Grünen und Linken vorbeigezogen und rein numerisch zur drittstärksten Partei aufgestiegen. Was ist los in Deutschland? Hat die Politik der Kanzlerin dazu beigetragen? Und wichtiger noch: Kann sie das Blatt wieder wenden?

 

„Wir schaffen das“ ein Mantra, auf das keine Antworten folgen

 

Im Mittelpunkt der Diskussion steht die Entscheidung von Angela Merkel vom letzten September, die schwarz-rot-goldenen Grenzen für Flüchtlinge zu öffnen. Damals, im Herbst letzten Jahres, hatte die Kanzlerin kommunikativ das Heft in der Hand. Ihr Diktum „wir schaffen das“, angelehnt an Obamas Erfolgsslogan „yes we can“, signalisierte Pragmatismus, Optimismus und Entschlossenheit. Selfies der freundlich lächelnden Angela Merkel mit dankbar schauenden Syrern gingen um die Welt.

 

Damit hatte die Kanzlerin eine perfekte Ikonografie für ihren Satz geschaffen, in Notsituationen müsse Deutschland der Welt ein freundliches Gesicht zeigen. Mehr als das: Mit ihrem Slogan wurde eine markante und gewagte Botschaft in die Welt getragen. Sie erinnert in ihrer Intensität an die Aussage, die Helmut Kohl 1989 aussprach: „Mein Ziel bleibt, wenn die geschichtliche Stunde es zulässt, die Einheit unserer Nation.“ Einer solch starken Geste muss auch Stärke folgen.

 

Natürlich blies der Kanzlerin schon unmittelbar danach ein eiskalter Sturm der Entrüstung und des Unverständnisses entgegen. Doch sie hatte es geschafft, ihre Haltung stark zugespitzt und eindeutig auf den Punkt zu bringen. Denkt man beispielsweise an die große Empörung zurück, die ihr öffentliches Gespräch mit dem weinenden Flüchtlingsmädchen auslöste, war erbarmungslose Ehrlichkeit zu diesem Zeitpunkt auch ein Prädikat.

 

Merkels Haltung war auch für Diejenigen verständlich, für die die Regeln von Schengen, das Dublin Abkommen, die Genfer Konvention oder die Wizegrad-Gruppe eher böhmische Dörfer als politische Landmarken sind.

Angela Merkel, die oft unterschätzte Kommunikatorin, hatte zu diesem Zeitpunkt mit knappen Worten und subtilen Gesten eine kommunikative Meisterleistung abgeliefert, wurde als Krisenmanagerin Europas hoch gelobt und zur einflussreichsten Persönlichkeit des Jahres gekürt. Obama persönlich bedankte sich für die moralische Führungsstärke und starke Partnerschaft und verschärfte damit nochmals die Fallhöhe der Kanzlerin.

 

Der tiefe Fall von der Mutter der Nation zur beschimpften „Schleuserin“

 

Und heute? Was trägt die Kanzlerin jetzt, Monate nach ihrer historischen Entscheidung zur tobenden Flüchtlingsdebatte bei? Wie reagiert sie auf Argumente, Briefe, Positionen, Pläne, Provokationen, Shitstorms? Sie trägt stoisch ihren bekannten Plan vor, mit ihren Meilensteinen die da sind: Fluchtursachen bekämpfen, EU-Außengrenzen kontrollieren, Flüchtlinge innerhalb der EU gerecht verteilen. Das ist politisch klug gedacht, klingt aber nach einer langfristigen Lösung für ein akutes Problem. Man kann glauben, dass dies irgendwann funktioniert. Man muss es aber nicht. Was die Kanzlerin vorträgt, klingt eher nach Pastorentochter und nicht nach der mächtigsten Frau der Welt. Vielmehr verfällt Merkel in die alte Rolle „Kohls Mädchen“ zurück.

 

Das Hauptproblem dabei ist: Die Kanzlerin erklärt zwar, was sie für richtig hält, schweigt aber zum „Warum“. Und sie verzichtet darauf, über Alternativen zu reden und deren Schwächen zu entlarven. Ich halte diesen Kommunikationsstil für grob fahrlässig.

 

Denn ein kommunikatives Vakuum füllt sich von alleine. Die Inhalte sind beispielsweise getwitterte Bilder, auf denen eine schweigende Kanzlerin von Hooligans umringt wird. Was hierdurch verdeutlicht wird ist, dass durch jedes unausgesprochene Wort der Nährboden für Parteien wir die AfD gepflegt wird. Spätestens seit in den Polizeiberichten der Kölner Silvesternacht ein Mann mit den Worten „Frau Merkel hat mich eingeladen“ zitiert wurde, dürfte eine neue Dimension deutlich geworden sein, gegen die Merkel nicht anschweigen darf. Solange die Kanzlerin nicht über die Gründe ihrer Politik spricht und die Debatte treiben lässt, überlässt sie den Vereinfachern und Demagogen kampflos das kommunikative Spielfeld.

 

Noch nie konnte eine historische Bewährungsprobe erfolgreich ausgesessen werden

 

Das Schweigen der Kanzlerin ist fatal, denn es macht sie angreifbar – sogar aus den eigenen Reihen. Die scharfzüngige Aussage des Bundesverkehrsministers Alexander Dobrindt „Es reicht jetzt aber nicht mehr aus, der Welt ein freundliches Gesicht zu zeigen“, verdeutlicht dies. Zu sagen gäbe es genug. Schließlich hat Merkel gute Argumente für ihre Politik: humanitäre, völkerrechtliche, politische, wirtschaftliche.

 

Es gibt so vieles, was sie den Verfechtern vermeintlich einfacher Lösungen entgegenschleudern könnte. Die Kanzlerin könnte darstellen, welche Folgen eine abrupte Schließung der Binnengrenzen für uns alle hätte. Sie könnte über das mögliche Zerbrechen der Europäischen Union, über den endgültigen Kollaps des griechischen Staates, über eine unmittelbar bevorstehende humanitäre Katastrophe mitten in Europa reden. Sie könnte über einen Einbruch der Binnenwirtschaft als Folge des kollabierenden Schengen-Systems sprechen. Oder darüber, dass Deutschland der große wirtschaftliche Profiteur eines geeinten Europas ist und unendlich viel zu verlieren hat.

 

Angela Merkel muss die Alternativen klar darstellen: Auf der einen Seite überfüllte Turnhallen, eine überforderte Infrastruktur, Probleme mit der Integration. Und auf der anderen Seite eine drohende Katastrophe von historischen Dimensionen. Diese Darstellung muss – wie in jeder Krise – über Kommunikationskanäle funktionieren, die in der Politik ganz besonders wichtig sind.

 

Was Politiker aus Merkels Schweigen über Kommunikationskrisen lernen können:

 
  • Klare und konsequente Haltung wahren
    und immer wieder Begründungen dafür liefern.
  • Starken Worten müssen auch starke Antworten folgen,
    denn sonst wird eine enorme Fallhöhe provoziert.
  • Ehrliche Schuldeingeständnisse sind besser als Schweigen,
    denn menschliches Irren kann wirkungsvolle Sympathie stiften.
  • Wer vom Ursprungskonzept abweicht, sollte Alternativen anbieten,
    denn Ahnungslosigkeit kostet wertvolles Vertrauen.
  • Das wichtigste Signal: Überblick geben – gerade in schwieriger Lage,
    dazu gehören Gründe und Hintergründe.


Leider scheint es derzeit, dass Angela Merkel sich kommunikativ ihren Innenministers de Maizière zum Vorbild nimmt, der anlässlich der Fußballländerspiel-Absage von Hannover auf die Frage nach einer Begründung sphinxhaft meinte, ein Teil der Antworten würde die Bevölkerung verunsichern, weshalb er diese Antworten nicht geben wolle. Nun gut, von einem de Maizière erwartet auch niemand strategisch kluge kommunikative Meisterleistungen.





Ersterscheinung auf W&V
PR-Krise: Wie sich Angela Merkel um Amt und Würden schweigt

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