Vapiano und Nestlé, Oliver Pocher, Günther Jauch oder zuletzt das Nachrichtenmagazin DER SPIEGEL: Sie alle wissen genau, wie sich ein Shitstorm anfühlt. Einen digitalen Sturm der kollektiven Entrüstung der Netzgemeinde zu erleben, ist beinahe schon zur Mode geworden.
Allerdings wird der Begriff Shitstorm inzwischen ziemlich inflationär gebraucht. Denn nicht immer wenn ein Troll – ein notorischer Onlinenörgler, der fortwährend provokative Beiträge ohne Sachargumente postet – seinem destruktiven Handwerk nachgeht, entsteht dadurch gleich ein Shitstorm.
Richtig destruktive Wirkung entfaltet ein Shitstorm aber mit Sicherheit dann, wenn er klassische Medien erreicht – Tageszeitungen, Radio oder sogar das Fernsehen. Echte Shitstorms können einzelnen Personen, Unternehmen und Marken binnen Stunden einen dramatischen Imageschaden zufügen, der jahrelang nachwirkt – völlig unabhängig davon, ob die Vorwürfe sich am Ende als berechtigt oder als unbegründet herausstellen.
Der Shitstorm bricht los – was tun?
Ein Musterbeispiel dafür, was man in einer solchen Situation falsch machen kann, ist der Fall Nestlé. Greenpeace hatte den Lebensmittelmulti mit einem professionell nachgemachten Werbefilm mit der Botschaft „KitKat kills“ attackiert und dem Unternehmen vorgeworfen zur Zerstörung von Urwäldern beizutragen. Doch anstatt die Kritik aufzugreifen und sich zu erklären, versuchte Nestlé das umstrittene Video auf Youtube zu löschen, schaltete die Kitkat Facebook Fanpage mit 700.000 Fans einfach ab – und befeuerte damit die Wut der Kritiker erst richtig. Zu dem Vorwurf der Umweltzerstörung gesellte sich nun noch der Verdacht, kritische Meinungen unterdrücken zu wollen.
Eine richtige Strategie im Kampf gegen den Shitstorm setzt auf mehrere Elemente:
Wichtig dabei ist es, Gesicht zu zeigen – und zwar am besten das des Chefs – sowie Details zu erklären und im Falle von berechtigen Vorwürfen auch Abbitte zu leisten und Besserung zu geloben. Und das im Idealfall an dem Ort, an dem der Sturm tobt – also in den sozialen Netzwerken.
Darüber hinaus ist es strategisch schlau, Fürsprecher und Unterstützer zu mobilisieren, um schnell eine moderierende Rolle übernehmen zu können. Eine gut informierte und aktive Online-Gemeinde, die hinter der Marke steht, ist die beste und glaubwürdigste Verteidigung bei einem Shitstorm. Denn treue Fans setzen den negativen Äußerungen sehr gerne ihre eigene Sichtweise entgegen. Eventuelle Beleidigungen sollte man dabei tapfer ignorieren, solange diese gewisse Geschmacksgrenzen nicht komplett überschreiten.
Ziel ist und bleibt die Deeskalation. Die Drohung mit dem Hausjuristen zur Durchsetzung des virtuellen Hausrechts ist zwar weit verbreitet, aber selten deeskalierend und zielführend. Thematische Einschränkungen von Diskussionen sind bspw. nur zulässig, wenn sie für die Nutzer von vornherein im Rahmen einer Netiquette erkennbar waren.
Wie im echten Leben gilt auch bei Shitstorms: das beste Gegenmittel ist gezielte Vorbeugung und gute Krisen-Vorbereitung. Denn wirklich verhindern lässt sich ein Shitstorm nicht. Das gilt selbst für die Unternehmen und Marken, die eine völlig weiße Weste haben und gar keinen Anlass zu Kritik geben. Als sinnvolle Krisenvorbereitung in Sachen Shitstorm hat es sich bewährt, vor allem rechtzeitig Online-PR zu betreiben, sich eine gute Reputation im Netz aufzubauen und seine Marke gezielt auch im Netz zu stärken. Wichtig ist dabei die dauerhafte Sichtbarkeit. Denn wer erst im Krisenfall kommuniziert, hat bei der Netzgemeinde schon verloren.
Die kontinuierliche Präsenz in der digitalen Welt hat auch einen weiteren gewaltigen Vorteil: andere potentielle Krisenthemen sind früh zu erkennen und man lernt, wo kritische Themen hochkochen können, wo es vielleicht Missverständnisse gibt, die schnell zu klären sind und wo demnächst „echte“ Krisen-PR gefragt ist. Zwar kann es sich nicht jede Marke und nicht jedes Unternehmen leisten, jeden Winkel des Netzes rund um die Uhr mit einem speziell entwickelten System bewachen zu lassen.
Doch hat schon oft ein relativ simples Online-Monitoring viel Schaden abgewehrt, weil die Krisen-PR einsetzen konnte, bevor das Thema überhaupt richtig hochkochen konnte. So haben früh identifizierte Shitstorms fast schon eine „reinigende“ Wirkung: Sie machen die Firmen auf ihre mangelhafte Kommunikation aufmerksam.
Unternehmen, die Kosten und Mühen in den Bereichen Online-Monitoring und Krisenvorbereitung scheuen und darauf setzen, dass es nicht sie, sondern andere trifft, haben immerhin noch ein letztes Argument: Noch sind die konkreten wirtschaftlichen Auswirkungen von Shitstorms auf die Marke nicht wissenschaftlich nachgewiesen. Von den Empörungswellen im Netz gehen angeblich keine nachhaltigen wirtschaftlichen Schäden für Unternehmen aus.
Das fand zumindest die Macromedia Hochschule für Medien und Kommunikation (MHMK) heraus, die kollektive Unmutsbekundungen von Social Media-Nutzern von Januar 2010 bis Mai 2013 analysiert hat. Aber der Begriff Shitstorm fand auch erst im Jahr 2013 Eingang in den Duden. Manche Dinge dauern eben etwas länger.