Hohe Marketing-Kunst: Starbucks und der Red Cups Shitstorm

Stellen Sie sich vor, Sie wären Kommunikationschef der Kaffeehauskette Starbucks. Dann hätten Sie eine Visitenkarte mit einem bedeutend klingenden Titel, der wahrscheinlich eine Din-A4-Seite füllen könnte und Buzzwords wie Global Communications, Digital Relations, Storytelling und Senior Vice President enthalten würde. Sie hätten ein sehr ordentliches Gehalt, unbegrenzten Zugriff auf den zugegebenermaßen guten Kaffee des Hauses und ein junges, hippes und meistens unglaublich gut gelauntes Team um sich.

 

Dass die gute Laune ihres Teams vor allem darauf zurückzuführen ist, dass es einen bemerkenswerten Teil seiner Arbeitszeit auf Youtube, Facebook, Newskanälen, Chats und mit anderen Segnungen des digitalen Zeitalters verbringt, hätte Ihnen noch keiner verraten – aber das ist eine andere Geschichte.

 

Weltweit zum Gespräch werden – bei minimalem Budget

 

Stellen wir uns weiter vor, ihr Chef, der zwar nur drei Buchstaben – nämlich CEO – auf der Visitenkarte stehen hat, aber dafür ihr Jahresgehalt innerhalb eines einzigen Tages verdient, habe Ihnen einen Auftrag erteilt. Der lautet kurz zusammengefasst: Sorge dafür, dass die diesjährigen Weihnachtspappbecher des Hauses zum Gesprächsthema werden. Möglichst weltweit. Und das bei minimalem Budget. Das sei doch durch smartes Storytelling in den Zeiten von Social Media machbar.


Sie denken sich zwar, dass Starbucks seit 1997 in der Vorweihnachtszeit Kaffee in jahreszeitlich designten Bechern ausschenkt und dies damit im Winter 2015 nicht mehr wirklich neu und auch nicht mehr besonders originell sei. Sie denken sich weiter, dass auch die beste Geschichte irgendwann so oft erzählt wurde, dass sie niemand mehr hören und schon gar nicht weitererzählen mag. Aber Sie denken eben auch an ihre Visitenkarte, ihr Gehalt, den guten kostenlosen Kaffee und das Team, das – so glauben Sie zumindest – ohne Sie ziemlich orientierungslos wäre.

 

Deshalb machen Sie sich an die Arbeit. Sie denken an Pappbecher in weihnachtlichem Design bei ihrer morgendlichen Joggingrunde durch den Park, unter der Dusche, während vieler Meetings und Brainstormings. Sie bitten zusätzlich jemanden aus ihrem hippen Team, ein Briefing zu schreiben, das den Wunsch ihres CEOs genau beschreibt. Sie lassen das Briefing an ihre Werbeagentur, ihre PR-Agentur, die Social-Media-Agentur und zur Sicherheit auch noch an ihre Media-Agentur schicken.


Und da Starbucks inzwischen auch eine Content-Marketing-Agentur beschäftigt, erhält auch diese das Becher-Briefing. Deshalb denken in den Tagen darauf noch viel mehr Menschen während ihrer Joggingrunden, unter der Dusche sowie in Meetings und Brainstormings über vorweihnachtliche Pappbecher nach. Und wie man diese weltweit zum Gespräch machen kann. Bei minimalem Budget natürlich.

 

Am Ende dieser vielen Überlegungen stünde dann vielleicht ein Konzept, das vorsieht, den diesjährigen Starbucks-Weihnachtskaffeebecher zum viralen Hit zu machen. Die Idee dahinter: Die Becher sind dieses Jahr völlig schmucklos in dezentem Rot gehalten, frei von Rentieren, Schneeflocken und anderen Jahreszeit-typischen Designelementen. Damit das auch auffällt und vor allem aufregt, engagieren sie einen Social Media tauglichen Spinner – von Beruf angeblich ehemaliger Priester – mit dem schönen Namen Josh Feuerstein.


Der wirft dann vor laufender Kamera Starbucks vor, Jesus zu hassen. Und deutet das schmucklose Design als weiteren Beleg für den Rückzug christlicher Werte und Symbole aus dem amerikanischen Alltag. Im Video, das er auf Facebook teilt, fuchtelt er auch noch mit seiner Pistole herum.


Damit die Kassen in den Kaffeehäusern auch in der Vorweihnachtszeit heftig klingeln, ruft der bewaffnete Prediger aber nicht zum Boykott der Kaffeehauskette auf, sondern zum genauen Gegenteil. Man möge Starbucks austricksen, indem man in die nächste Filiale gehe, Kaffee kaufe und auf die bei Starbucks unvermeidliche Frage, welcher Name denn bitteschön auf den Becher geschrieben werden solle, antworte „Merry Christmas“.


Kühl kalkuliert und clever umgesetzt: Die inszenierte Krise als Marketingtool

 

Als nächsten Schritt bittet der vermeintliche Starbucks-Hassprediger darum, man solle ein Selfie mit dem Merry Christmas-Pappbecher machen, es auf den sozialen Medien mit dem Hashtag #MerryChristmasStarbucks teilen und damit Teil einer großen Bewegung gegen Political Correctness und zur Aufrechterhaltung des Christentums werden.


Gehen wir weiter davon aus, dass Sie dieses Konzept in diversen Meetings präsentieren, verteidigen und Sie mit der Frage, ob die Medien diese Inszenierung nicht durchschauen und mit Nichtbeachtung oder gar Entlarvung strafen, konfrontiert werden würden? Ihre Antwort wäre dann: Nein – das läuft! Das läuft als siebenminütiger Beitrag mit Live-Interview auf CNN, das schafft es in die Medien – international von der Washington Post bis zum Berliner Kurier und in tausende Foren und Blogs.


Feuersteins Video mit dem Starbucks-Logo im Hintergrund werde alleine auf Facebook unfassbare 16 Millionen Mal geklickt, prognostizieren Sie mutig. Tja, wenn Sie das wirklich gesagt hätten, dann hätten Sie Recht gehabt. Und Sie hätten – wie ich finde – einen ziemlich guten Job gemacht. Der kühl kalkulierte Shitstorm als Marketinginstrument ist eine hohe Kunst.

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